Zu Beginn der Passionszeit haben wir im März in Somerset West und in Stellenbosch nach dem Gottesdienst einige Lieder von unserem bekannten Liederdichter Paul Gerhardt gesungen. Dies war verbunden mit einer Einführung in sein Werk und sein Leben. Unser Gesangbuch ist voller geistiger und geistlicher Schätze, die es zu heben lohnt… Manchmal allerdings sind die Lieder, die 300-400 Jahre alt sind, uns von ihrer Sprache her etwas fremd. Da hilft es, wenn wir etwas mehr über den Kontext erfahren, in dem diese Lieder entstanden sind. Dann fällt es uns leichter, die Parallelen zu unserem eigenen Leben zu entdecken. Wir beginnen mit einem unserer bekanntesten Liederdichter: Paul Gerhardt. Anbei eine kleine Liste von den Liedern, die sich von ihm in unserem Gesangbuch finden. Allein schon an den Überschriften können wir sehen, dass sie zu den bekanntesten Liedern überhaupt gehören. Dass Paul Gerhardts Lieder so vertraut sind, hat sicher auch damit zu tun, dass sie uns im ganzen Kirchenjahr von Advent bis zum Ewigkeitssonntag begleiten, denn der Dichter hat ja für viele verschiedene Anlässe geschrieben, Weihnachtslieder, Passionslieder genauso wie Psalmen- und Loblieder. Ganz unterschiedliche Lebenssituationen, Stimmungen und intensive Gefühle hat er dabei in seinen Versen eingefangen: Freude, Glück, Zufriedenheit und Zuversicht, Lob und Dank, aber auch die dunklen Seiten unseres Lebens: Trauer und Angst, Verzagtsein, Kummer und Bedrohungen, Anfechtung, unser verzweifeltes Rufen nach Gottes Hilfe. Das ganze Leben mit all seinen Auf und Abs ist in Paul Gerhardts Worten gegenwärtig – und dadurch empfinden wir seine Liedtexte als sehr authentisch. Der Dichter findet dabei oft lebendige Bilder, die uns unmittelbar ansprechen und Worte, die uns zu Herzen gehen. Und seine Lieder sind immer sehr persönlich – da wird „Ich“ gesagt und damit können wir uns identifizieren. Oft sind Paul Gerhardts Lieder eine Mischung aus “Selbstgespräch“ und Gespräch mit Gott: Selbstbesinnung und Glaubenseinsichten überschneiden sich mit Danksagung und Gebet. Eine sehr große Rolle spielen natürlich auch die Melodien! Paul Gerhardts Freunde, die Kirchenmusiker Johann Crüger und Johann Georg Ebeling, beide Kantoren an der Berliner Nikolaikirche haben einen gewaltigen Anteil daran, dass wir Paul Gerhardts Lieder immer noch so genießen, denn sie haben viele von seinen Versen vertont. Alles zusammen, die eingängigen Melodien, der persönliche Tonfall und die Anschaulichkeit seiner Liedtexte hat dazu geführt, dass Paul Gerhardts Lieder sich in die ganze weltweite Kirche verbreitet haben. Sie werden überall gesungen, auch in der katholischen Kirche, und übersetzt in viele Sprachen. Paul Gerhardt ist ein wahrhaft ökumenischer Liederdichter geworden. Für mich als Theologin ist dabei auch spannend, dass seine Worte immer ein sehr gutes theologisches Fundament haben. Sie enthalten viele Anspielungen auf biblische Verse. Und sie sind oft Poesie und Theologie zugleich, sozusagen “in Musik gegossene Theologie“. Das ist kein Zufall. Denn Paul Gerhardt war ein studierter Theologe. Er verstand etwas vom Predigen und von Pädagogik, er war aber auch ein Seelsorger und Menschenfreund. Und das spüren wir in seinen Versen. Ein paar Worte zu seinem Leben: Paul Gerhardt lebte im 17. Jahrhundert. Er wurde 1607 in dem kleinen Städtchen Grafenhainichen in der Nähe von Wittenberg in Sachsen-Anhalt geboren. Das war also – um es in einen historischen Zusammenhang einzuordnen – ein knappes Jahrhundert nachdem Martin Luther erstmals in Erscheinung getreten war. Paul Gerhardts Leben ist wesentlich geprägt vom Dreißigjährigen Krieg auf der einen Seite und von der Kraft lutherischer Theologie und Frömmigkeitspraxis auf der anderen. Im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) ging es einerseits um die Vorherrschaft der Protestanten oder der Katholiken – es war also ein Konfessionskrieg – und andererseits um das Machtgezerre zwischen Kaiser und Landesfürsten. Diese mörderische Katastrophe, die Millionen Menschen das Leben kostete, brach aus, als Paul Gerhardt 11 Jahre alt war. Er bedeutete unvorstellbare Schrecken, die wir auch im Hier und Jetzt kennen: Tod und Massaker, Gewalt, Plünderungen und marodierende Soldaten, bittere Armut, Hungersnöte und Seuchen, zerstörte Dörfer und Städte, wirtschaftlicher Stillstand. Paul Gerhardt deutet dieses Grauen immer wieder in seinen Liedern an. Als der Krieg 1648 endlich vorbei war, haben seine Nachwehen noch auf Jahre hinaus das Leben der Menschen geprägt. Neben der Trauer über den Verlust geliebter Menschen und der eigenen Lebensgrundlagen herrschte große Unsicherheit über die Zukunft; die Menschen lebten schlecht und in Hunger in einem brüchigen Frieden, ganze Landstriche waren komplett entvölkert, Orte, Wirtschaft und Handwerk mussten komplett wieder aufgebaut werden. Es war ein kollektives Trauma, von dem sich Deutschland jahrzehntelang nicht erholt hat.

Abgesehen von diesen Zeitumständen hat Paul Gerhardt auch persönlich sehr viel Schweres erlebt: Mit 14 Jahren war er bereits Vollwaise; sein Bruder starb an der Pest, die in seinem Städtchen grassierte. Später hat er dann vier seiner fünf Kinder verloren und dann starb auch noch seine viel jüngere Frau. Dazu kamen noch wirtschaftliche Not und Widrigkeiten im Beruf wegen seines lutherischen Bekenntnisses. – Soviel Verlust, Schmerz und Leid könnte einen Menschen total verbittern lassen, ihn brechen und um seinen Glauben bringen. Aber wunderbarerweise geschah dies bei Paul Gerhardt nicht: Ihn hat all das offenbar innerlich wachsen und reifen lassen. An seinen Liedern können wir wahrnehmen, wie tief sein Glaube war und wie er beständig Trost in Gottes Erbarmen gesucht hat. Er hat sich an die biblischen Verheißungen „geklammert“, und seine Worte sind voller “Urvertrauen“ in Gottes Liebe. Und sie strahlen zugleich eine tiefe Lebensfreude aus. Nach dem Studium der Theologie in Wittenberg war Paul Gerhardt nach verschiedenen Stellen als Hauslehrer lange Jahre Pfarrer an der Berliner Nikolaikirche, dann in Mittenwalde südlich von Berlin und in seinen letzten Lebensjahren schließlich noch in Lübben im Spreewald. Die meisten seiner Lieder sind in diesen Jahren der Praxis im Gemeindepfarramt entstanden, und sie künden davon, wie nahe er sich Gott und anderen Menschen verbunden fühlte. Ich bin dankbar, dass wir uns auch noch heute von ihnen trösten und inspirieren lassen können.

Christiane Simon

PAUL GERHARDTS LIEDER IN UNSEREM GESANGBUCH

Adventslieder
EG 11 Wie soll ich dich empfangen, 1653 / Melodie: Johann Crüger

Weihnachtslieder
EG 36 Fröhlich soll mein Herze springen, 1653/ Melodie: Johann Crüger
EG 37 Ich steh’ an deiner Krippen hier, 1653/ Melodie: Johann Crüger
EG 39 Kommt und lasst uns Christus ehren, 1666 / Melodie: EG 29/I Den die Hirten lobeten sehre. Bei Matthäus Ludecus 1589 nach „Quem Pastores Laudavere“, 15. Jhd.
EG 541 Wir singen dir, Immanuel, 1653 / Melodie: EG 24 Vom Himmel hoch, da komm ich her – Martin Luther

Jahreswende
EG 58 Nun lasst uns gehn und treten, 1653 / Melodie:
EG 320 Nun lasst uns Gott dem Herren / Melodie: bei Nikolaus Selnecker 1587, Satz Johann Crüger 1649

Passion
EG 83 Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld, 1647 / Melodie: Wolfgang Dachstein, 1525
EG 84 O Welt, sieh hier dein Leben, 1647/ Melodie:
EG 521 O Welt ich muss dich lassen
EG 85 O Haupt voll Blut und Wunden, 1656/ Text nach “Salve caput cruentatum” des Arnulf von Loewen vor 1250. Melodie: Hans Leo Hassler 1601

Ostern
EG 112 Auf, auf mein Herz mit Freuden, 1647 / Melodie: Johann Crüger 1647 Pfingsten
EG 133 Zieh ein zu deinen Toren, 1653/ Melodie: Johann Crüger 1653

Psalmen, Lobgesänge, Danklieder
EG 283 Herr, der du vormals hast dein Land, 1653. Psalm 85. / Melodie: Aus tiefer Not schrei ich zu dir –
EG 299 II EG 302 Du meine Seele singe, 1653. Psalm 146. / Melodie Johann Georg Ebeling 1666
EG 322 Nun danket all und bringet Ehr, 1647. Psalm 89. / Melodie: Johann Crüger nach Pierre Davantes 1562
EG 324 Ich singe dir mit Herz und Mund, 1653. Melodie: EG 322 Nun danket all und bringet Ehr/ Johann Crüger 1653
EG 325 Sollt ich meinem Gott nicht singen? 1653/ Melodie: Johann Schop 1641

Rechtfertigung und Glaubenszuversicht
EG 351 Ist Gott für mich, so trete 1653. Röm 8,31-39 / Melodie: England um 1590/ Geistlich Augsburg 1609
EG 361 Befiehl du deine Wege, 1653. Psalm 37,5/ Melodie: Bartholomäus Gesius, 1603; bei Georg Ph. Telemann 1730
EG 370 Warum sollt ich mich denn grämen ? 1653 / Melodie: Johann Georg Ebeling 1666

Morgen
EG 446 Wach auf, mein Herz, und singe, 1647/ Melodie: EG 320 Nun lasst uns Gott dem Herren
EG 447 Lobet den Herren all, die ihn ehren, 1653 /Melodie u Satz: Johann Crüger 1653/1662

Abend
EG 477 Nun ruhen alle Wälder, 1647 / Melodie: EG 521: O Welt, ich muss dich lassen. Satz: Bartholomäus Gesius 1605

Arbeit
EG 497 Ich weiß, mein Gott, dass all mein Tun 1653/ Melodie: 16.Jhd, Dresden 1608

Natur und Jahreszeiten
EG 503 Geh aus, mein Herz und suche Freud. 1653 / Melodie: August Harder vor 1813

Sterben und ewiges Leben
EG 529 Ich bin ein Gast auf Erden 1666/67 / Melodie: EG 85 O Haupt voll Blut und Wunden